Die vermittelnde Substanz – Der freie Wille
Die Geistschulung, die Yogaschulung, ist ein Schulungsweg, der nicht abgeschlossen oder begrenzt ist auf die praktische Unterrichtsstunde einmal in der Woche, sondern die daraus resultierende Bewusstseinsentwicklung und Empfindungserkraftung kann zur führenden und kreierenden Kraft werden in allen Lebensbereichen.
Es ist der Mensch, der vermittelnd wirkt, wenn ein hoher, allgemeingültiger Wert und Gedanke erkannt, inniglich gewollt und umgesetzt wird. Die „goldene Mitte“ wird kreiert durch den Menschen. Die Quelle bildet der hohe, allgemeingültige Gedanke, der für das Leben einen hohen Wert hat und das eigenständige, verantwortungsvolle Tätigwerden. Bildlich kann man sich vorstellen, wie der Gedanke den individuellen Willen erobert, und im alltäglichen Leben herrscht bald eine friedvollere, freiere und sogar heitere Atmosphäre. Heinz Grill, spiritueller Lehrer und Geistforscher, bezeichnet diese Aktivität des Menschen als die Erscheinung der Gewaltlosigkeit in der heutigen Zeit.
Bei den Körperübungen des Yoga stellen sich recht schnell angenehme Gefühle ein, die durch die Veränderungen im Körper und des Gemütes herrühren. Es ist für die Seele und das gesamte Menschsein jedoch günstig, in diesen Gefühlen nicht zu verweilen, denn Entwicklung benötigt eine interessierte und neue Ausrichtung.
Da in allen Yoga-Richtungen der Mensch die Gemeinsamkeit darstellt, sowie das Streben nach Entwicklung, das Erringen eines höheren Bewusstseins und Stärkung der Persönlichkeitskräfte, stellt sich die Frage „Wie kann das Bewusstsein in einer objektiven und konkreten Wirklichkeitsbeziehung gehalten werden innerhalb der Yogaübung – vor allem dann, wenn eine Körperübung länger in der Ruhephase gehalten wird und die Ausdauer eine hohe Willensführung benötigt?“
Jede Yogastil-Lehre trägt eine Besonderheit in sich und kann auf intensive Weise eine erbauende Substanz erzeugen, die nicht nur bei dem Einzelnen bleibt, sondern zur erbauenden und verwandelnden Strahlkraft im Außen wird. Notwendig dafür ist die Disziplinierung zur eigenständigen Aktivität des Einzelnen, die er selbst immer wieder neu erzeugt. Diese Aktivität ist keine Methode im gewöhnlichen Sinne, sondern sie ist eine bewusste Entscheidung.
Die Bereitschaft, in der Übungspraxis einen konkreten Gedanken erforschen zu wollen und sichtbar werden zu lassen in der Form, entspricht dem „Gebenden Prinzip“ und schließt das „Konsumierende Prinzip“ aus. Warum lebt gerade in der Yogapraxis sehr stark das „Konsumierende Prinzip“?
Der Yogaweg aus dem Osten löste eine große Faszination im Westen aus. Der Westen ist kulturell aber ganz anders geprägt. Im Osten, im Ursprungsland Indien, war der Yoga in ein spirituelles und großes philosophisches System eingebunden. Im Westen war dies nicht der Fall und unweigerlich lag die Betonung zu sehr auf der wissenschaftlichen und technischen Dimension des Yoga. Es fehlten die natürlichen Empfindungen zur geistigen Dimension. Der westlich geprägte Mensch musste die Körperübungen des Yoga durch Mangel an Empfindungen für die seelisch-geistige Dimension des Yoga in einem anderen Sinne für sich interpretieren. So entstanden im Westen viele Formen des Yoga, der zu einem besseren Wohlbefinden und psychischer Stabilität führen sollte. Deshalb kennzeichnet den Yoga im Westen mehr die konsumierende und nach Gewinn trachtende Haltung.
Eine andere Schwierigkeit lässt sich gut am Beispiel der Yoga-Übungspraxis verdeutlichen. Grundsätzlich sind wir im Yoga-Unterricht in den Übungen mit dem Willen aktiv. Der Wille ist eine geistige Antriebs- und Gestaltungskraft, die sich in der menschlichen Leiblichkeit befindet, aber auch in allen Naturerscheinungen der Welt. Demnach befinden wir uns mit der willentlichen Arbeit unausweichlich im Schöpfungsgeschehen. Das Willensleben wird beim Menschen sichtbar durch die Entscheidungskraft und Entschlossenheit. Der tiefste innere Entscheidungssinn ist ein Geistessinn. Heinz Grill bezeichnet ihn als den göttlichen Funken im Menschen und er ist der innerste Geistesfunke und das Zentrum des Ichs. Aus dieser Anschauung heraus wird erkennbar, dass der Wille eine Erziehung benötigt, so dass dieser zu einer wirklichen Kraft wird für die Umsetzung von hohen, spirituellen Zielen, die in ihrer Grundsubstanz verwandelnd und heilend wirken und nicht zu einer Kraft wird, die das Fühlen und Denken bindet und die Handlungen in einem energetischen, karmischen Kreislauf bleiben.
Durch das Praktizieren der Yoga-Übungen geht eine erhöhte Strahlkraft von den Organen durch den Körper. Diese gesteigerte Organstrahlung innerhalb der Übung oder einer Übungs-Reihenfolge betrifft den Körper und das an ihn gebundene Bewusstsein. Das Niveau im Bewusstsein verändert sich. Mit den Yoga-Übungen, Atemübungen, den vielen Formen der Meditation und spezifischen Konzentrationsübungen erhält das Nervensystem ein sensitiveres Leben, aber die großen Geheimnisse und die geistigen Bedeutungen der Übungen bleiben noch versteckt oder verschlossen.
Es ist wichtig, dass die Energien, die durch den Körper strahlen, nicht mit dem hohen universalen Selbst im Menschen verwechselt werden. Die individuelle Seele sehnt sich nach dieser Erfahrung des hohen Selbst, sie sehnt sich nach einem Selbstbewusstsein. Deshalb benötigt der Mensch durch geeignete Schulung eine Empfindungsentwicklung, die zur Unterscheidungsbildung führt. Der Mensch lernt zu unterscheiden, welche Gefühle den bisherigen Erfahrungen entsprechen und eigene Emotionen sind, und welche Gefühle sich neu kreieren und als Empfindungen wahrgenommen werden, die einen bleibenden Wert und eine Gültigkeit auch für andere Menschen haben. Es kann ein rationales Umgehen entstehen – beispielsweise mit dem Wesen der Angst. Eine gesunde Urteilsbildung wirkt stabilisierend.
Diese rechte Urteilsbildung erhebt das Bewusstsein und kann es befreien aus den körperlichen Anbindungen. „Die rechte und gesunde Urteilsbildung ist deshalb der geeignete Parameter für den Weg des Integralen Yoga“. (Zitat von Heinz Grill, Buch „Ein neuer Yogawille für ein integratives Bewusstsein in Geist und Welt“, Seite 34). Das Gedankenleben sollte vom leiblich verankerten Willen losgelöst werden.
Heinz Grill hat durch seine spirituellen Forschungsarbeiten die beschriebenen Schwierigkeiten, die auch Rudolf Steiner benannt hat, erkannt und gesehen, welche Aktivitäten und Bewusstseinsschritte vom Menschen getätigt werden müssen. Die Entwicklung des Integralen Yoga aus der Reinheit der Seele durch Heinz Grill beschreibt deshalb die Seelendimension des Yoga, die eine verbindende Möglichkeit darstellt zwischen allen Yoga-Richtungen und allen Bereichen des Lebens.
Erforderlich ist ein größeres Maß an Beobachtungsvermögen und ein achtsames, von Gedanken und Weisheit gelenktes Praktizieren. Das Bewusstsein löst sich vom vitalen Körper und taucht nicht in diesem unter. Es ist die „körperfreie“ Bewusstseinsarbeit, die aktiven Seelenvorgänge, die eine Entwicklung fördern.